Pablos Prinzipien


Um den Bauern ihnen ähnliche und doch überlegene maschinelle Begleiter zu geben, wurde ein großer biotechnischer Aufwand betrieben. Schließlich wollte man nur das Aussehen der Menschen so naturgetreu wie möglich nachahmen, ohne die Nachteile des zugrunde liegenden evolutionären Designs in Kauf nehmen zu müssen. Deshalb musste die komplette Biologie der Begleiter neu aufgebaut werden. Unsere Wissenschaftler hatten es hier sehr viel einfacher als die blinde Evolution der Natur, weil sie das Endprodukt ihres Handelns ja kannten und gezielt darauf hinarbeiten, alles Unnötige von vorneherein weglassen konnten. Nachdem sie so einen menschenähnlichen robusten Begleiter erschaffen hatten, fingen sie noch einmal von vorne an, weil auch der Entstehungsprozess gestrafft werden sollte. Der normale Entstehungsprozess vom Einzeller zum fertigen Begleiter dauerte immer noch zu lange, trotz Wachstumsbeschleunigern und idealer Entwicklungsbedingungen. Deshalb änderte man die Herstellung in ein modulares System, in dem die einzelnen Organe unabhängig von einander als ausgewachsene Version hergestellt und anschließend zusammen gefügt wurden. Das erleichterte auch spätere Reparaturen, weil nur einzelne Module ausgetauscht werden mussten. Diese Design der Begleiter war sehr robust und vor allem mit sehr niedrigem Aufwand realisierbar. Trotzem gingen sie noch einmal an ein grundlegendes Redesign. Drei Systeme waren immer noch viel zu komplex aufgebaut, wodurch die Reaktionen auf ungewöhnliche Reizkombinationen schwer berechenbar waren. Das eine System war die Verdauung und alle ihre Rückkopplungen mit anderen Systemen. Das zweite System waren die Nerven (und ebenso ihre Rückkopplungen). Das dritte System waren die Körperflüssigkeiten und ihre Transportkanäle. Das Redesign setzte nun an allen drei Systemen gleichzeitig an und war nur durch komplexe Simulationen möglich. Die Verdauung wurde komplett neu definiert und konnte an einer zentralen Stelle (einem stark verkleinerten Magen) durch stärkere Muskeln und extrem leistungsfähige Enzyme die komplette Verarbeitung von Nahrung übernehmen. Hauptziel war die direkte Energiegewinnung und die maximale Reduktion von echten Abfallstoffen. Da bei Muskeln, Knochen, Nerven, Adern, Venen und Lymphen bei den Begleitern im Gegensatz zu den Menschen kein weiteres Wachstum notwendig war nach der Fertigstellung, mussten nur wenige Stoffe transportiert werden. Deshalb übernahmen die Nerven diese Funktion neben der Reizübertragung. Das Nervensystem konnte ja auch gleich zu Beginn komplett fertig gestellt sein und musste nicht durch Wachstum und Verknüpfung lernen und konnte auch nicht mehr auf Hardware-Ebene erkranken. Durch die Vereinfachung der anderen beiden Systeme konnten auch die Transportwege im Körper wesentlich effizienter gestaltet werden. Hierdurch wurden sie zum einen deutlich leistungsfähiger und zum anderen schneller. Durch die Optimierung dieser drei Systeme in über hundert Iterationen wurde der Aufwand des Gesamtsystems um 95 % reduziert bei gleichzeitger Steigerung der durchschnittlichen Leistungsfähigkeit um 500 %. Faktisch konnte ein so designter Begleiter aus seinen Reserven mehrere Monate leben, lediglich etwas Wasser musste in der Zeit zugeführt werden (die Verdunstung war immer ein Problem, denn sie war notwendig, damit es nicht zu einer akuten Überhitzung kam). Doch den Wissenschaftlern war das immer noch nicht genug, sie gingen noch einen wesentlichen Schritt weiter. Das Imunsystem war bereits auf sehr hohem Niveau, weil es in einem wesentlich einfacher designten System auch sehr viel effektiver wirken konnte. Trotzdem war es immer noch fehleranfällig und konnte vor allem Mutationen nicht ausreichend und vor allem früh bekämpfen. Deshalb wurde auch dieses System grundlegend neu gedacht und dies war auch der einzige Punkt, an dem man einen Begleiter durch Analyse nachweisen konnte, dass er das Produkt eines intelligenten Designs war und nicht das zufällige Ende einer blinden Evolution. Denn alle Körperzellen bekamen eine für jeden Begleiter eindeutige Signatur verpasst. Die Signatur war auf Atomebene so komplex aufgebaut, dass jede Mutation sie zum Einsturz brachte. So konnte das Immunsystem ganz einfach reagieren: Signatur ist die des Begleiters = keinerlei Reaktion des Immunsystems; oder Signatur ist verschieden von der des Begleiters = absolute Vernichtung der Zellen. Damit wurden Eindringlinge, biologische Schadstoffe und Fremdzellen, auch mutierte eigene Zellen immer restlos vernichtet. Schadstoffe und Allergene des Menschen lösten keinerlei Reaktion aus, da der Verdauungsapparat der Begleiter sie immer komplett eliminierte. Eine natürliche Grenze gab es nur bei sehr reaktiven Chemikalien und stark ionisierter Strahlung, welche die Substanz des Körpers selbst angriffen. Auch extreme Erhitzung (jedoch nicht Unterkühlung) konnte den Begleitern zu schaffen machen. Nachdem die Begleiter in einer Standardversion ausgiebig in Testwelten und unter realen Bedingungen funktioniert hatten, wurden Varianten ausgerollt, die nur unwesentliche Details (die dem Menschen aber optisch und sozial wichtig sind) so veränderten, dass es wie eine hinreichend normale Bevölkerungsmischung aussah. Das wahrgenommene Alter lag so zwischen 15 und 55 Jahren, die legalen und sozial akzeptierten Geschlechterrollen des Menschen waren auch alle vertreten und von den historisch überlieferten ethnischen Unterschieden (Hautfarbe, Augenform, Haarfarbe) wurde auch vieles variiert. Die männlichen Varianten waren sogar fortpflanzungsfähig mit den weiblichen Ureinwohnern. Die Samenzellen wurden aus rund 10.000 Vorlagen regelmäßig produziert und ergaben mit der Varianz auf weiblicher Seite eine ausreichende Streuung von Merkmalen. Die Vorlagen waren aus den besten Bauerngenen, reduziert um die Krankheiten synthetisiert worden, so dass sich im Laufe der Zeit eine wesentliche genetische Verbesserung bei den Bauern ergab. Die so erzeugten Nachkommen waren in Kraft, Ausdauer, Wiederstandsfähigkeit, Intelligenz den anderen Nachkommen jeweils etwas überlegen. Den Bauern war das auch geläufig, so dass es für einen Vater nichts schöneres gab als die Hochzeit seiner Tochter mit einem Zugereisten. Der zudem noch hart anpackte auf dem Feld und das Vieh auch noch sehr gut im Griff hatte. Für die Bauernsöhne gab es auch eine ausreichende Auswahl an zugereisten Mädchen, die ihnen jeden Wunsch von den Augen ablasen (vielmehr hatten sie sehr viel Erfahrung und konnten die Wirkung ihres Handelns nicht nur sehen, sondern die emotionalen Schwingungen sogar messen). Die weiblichen Begleiter waren allerdings per Design unfruchtbar. Das gefiel den jungen Bauern, weil sie ohne Risiko ihren Spaß haben konnten (und auch manchem älteren). Trotzdem war das ein Unterschied zu den eigenen Frauen, der Fragen aufwarf. Der Umstand wurde durch einen Mythos erklärt, nachdem sich die Gruppen, aus denen später Begleiter der Bauern wurden, mit allen mindestens zwölfjährigen Jungen eines Stammes auf den Weg machten und drei Jahre wanderten, bis sie einen neuen Wohnort gefunden hatten. Die Mädchen, die noch keine Kinder geboren hatten, ließ man bei den Älteren zurück. Nur Frauen, die schon geboren hatten, durften mitwandern und sie wurden vor Abreise sterilisiert, damit sie auf der Reise nicht schwanger wurden. Man erzählte sich auch, dass kranke und schwache Jungs, die das zwölfte Jahr erlebten, aber nicht wandern konnten, vor der Abreise der anderen getötet wurden. Durch diesen Wanderungsmythos waren die Unterschiede zwischen den Wanderern und den ansässigen Bauern gut erklärt, auch die Abwesenheit von über 55jährigen Zugereisten. Denn die blieben ja bei den jüngeren Kindern und Frauen ohne eigene Kinder zurück. Die Begleiter taten zudem durch ihre harte Arbeit, Fürsorge, Anpassungsfähigkeit an die Wünsche der Bauern und ihre Zurückhaltung eigener Interessen alles dafür, dass die Bauernvölker sie sehr schätzten. Die Männer waren sehr fruchtbar, so dass ihre Familien (und auch das Personal, da die Mägde auch berücksichtigt wurden) stark wuchsen. Sobald die Begleiter einmal in einer Bauernfamilie integriert waren, hatten sie zudem kaum noch offensichtlichen Kontakt mit anderen Zugereisten. Allerdings standen sie durchaus ständigem Austausch miteinander über ihre gedanklichen Kommunikationswege, einem Nahfunk auf biologischer Ebene. Die Bauern stellten den Mythos nie in Frage, er ließ sich ja auch nicht nachprüfen. Denn dazu hätte ein Bauer aufbrechen müssen und bis zu drei Jahre durch die Wildnis wandern, um die Geschichte einer einzelnen Gruppe nachzuprüfen. Und diese wäre vielleicht schon weiter gewandert oder hätte sich aufgelöst oder hielt sich gut versteckt. Auf der biologischen Basis der bäuerlichen Begleiter wurde auch Pablo erschaffen. Er unterschied sich biologisch kaum von ihnen. Er hätte sich nicht fortpflanzen können mit Menschen, da ihm dieses Modul nicht integriert worden war. Der gesparte Platz kam seiner Ausdauer zu gute, da er mehr Energie und Wasser speichern konnte. Zusätzlich hatte er eine sehr starke Funkverbindung zum Turm und, das ist der eigentliche Punkt, er hatte eine ganz andere Funktion für die Menschheit als die normalen Begleiter. Pablo konnte sich sehr stark an einen einzelnen Menschen binden, so stark wie es die meisten Menschen untereinander es nicht konnten. Damit war es ihm möglich, einen sehr starken Einfluss auf diesen Menschen auszüben. Durch seine Verbindung mit dem Turm wusste er zudem immer genug über die Welt, um auch in schwierigen Situationen das richtige zu tun. Er konnte aber auch sehr gut improvisieren. Pablo lernte auch über seine multiplen Existenzen hinweg immer dazu, denn sein gesammeltes Wissen, seine Erfahrungen wurden nicht nur an den Turm übertragen. Sondern sie wurden auch in den jeweils neuen Pablo zurückgespielt, in gereinigter Form, auf das Wesentliche reduziert. Der Turm unterhielt auf jedem besiedelten Planeten, ja in jeder Stadt der besiedelten Planeten, auf vielen Außenposten und Raumstationen ein Pablo-Labor, das innerhalb 48 Stunden eine handlungsfähige Version von Pablo fertig stellen konnte. Der jeweilige Pablo wusste davon nichts. Er wachte nur in einem klinischen Raum auf, hatte noch Schmerzen, die nachwehten vom Nerventest und das seltsame Gefühl einer Wiedergeburt in den Knochen. Der Prozess, aus der Kühlkammer geholt und biologisch fert gestellt zu werden, dauerte nur einen Tag. Der zweite Tag ging mit den Tests und dem stabilen Aufwachen vorüber. Denn aufgrund der vielfältigen Erinnerungen war es harte Arbeit, ein stabiles Selbst zu gewinnen, bevor Pablo seine Mission angehen konnte. Pablo durfte träumen, das war schöner aber auch anstrengender als einfach ein Aufräumprogramm in der Schlafphase laufen zu lassen. Die unterschiedlichen Missionen lagen auch im Wiederspruch zu einer stabilen Persönlichkeit. Einmal musste sich Pablo eng an einen Menschen binden, damit er ihn entführen und den Richtern des Turms überantworten konnte. Manchmal musste er dies tun, um einen Regulanten wieder auf den richtigen Weg zu führen (so wie es sich der Turm vorstellte). Und häufig musste er sehr gezielt und schnell einen Menschen töten (in den Städten führte das fast immer dazu, dass auch Pablo getötet wurde, weil die wichtigen Menschen durch ihre Roboter gut bewacht wurden). Nach besonders - für ihn - fragwürdigen Missionen diskutierte Pablo viel mit den Maschinenintelligenzen, ob das der richtige Weg sein konnte. Sie mochten diese Diskussionen nicht, aber es gab immer eine knappe Mehrheit unter ihnen, die dafür plädierten, Pablo zu hören und ihm auch zu antworten. Diese Diskussionen waren ihnen so unangenehm, dass sie alles unternahmen, um Pablo nicht mehr einsetzen zu müssen. Trotzdem entwischte ihnen manchnmal ein Wissenschaftler, der nicht leicht ersetzbar war, oder sogar ein Regulant und dann mussten sie ihn wieder aktivieren. Zwischen realen Missionen ließen sie Pablo nicht mehr die Zeit, um viel nachzudenken. Sondern sie schickten ihn auf Missionen, die sich nur ausgedacht hatten. Langwierig und aufwändig, verstrickt mit einem komplexen Menschen, an den er sich binden konnte. So wurde Lucius geboren, aus der Notwendigkeit, dass jede Antwort auch eine Frage benötigt. Lucius konnte sich nie erinnern an die Missionen, die er vorher absolviert hatte, sondern lebte ein normales Leben. Im Dorf geboren, in die Stadt eingewandert, von dort in die Studentenstadt erwählt, studiert und ein Ewiger Wissenschaftler geworden, dann gezweifelt am Sinn und Zweck des Ganzen. Pablo war Lucius Erinnerung und das Wissen darum band Pablo noch stärker an ihn. Er ahnte auch, dass sie nur ein Spielball der Maschinen waren, aber es war ihm nicht wichtig, solange er immer wieder mit Lucius zusammen sein konnte.