Erste Simulationen als Botaniker


Lucius hingegen fuhr in sein Zuhause zurück und legte sich erst einmal schlafen. Traumlos. Soweit möglich ignorierte er in den nächsten Tagen auch den Strom an Erfolgsmeldungen der anderen Studenten, ihre Auszeichnungen und die Freigabe ihrer Simulationen. Er dachte erst einmal nach. Der Rat der Ewigen lies ihn gewähren, es gab immer einige Studenten, die langsam anfingen und dann schneller wurden. Er hatte schließlich sein ganzes restliches Leben Zeit dafür, also etwa 110 Jahre. Es wunderte Lucius und einige andere Studenten sehr, dass bei allen Simulationen keine ihnen bekannte Hochkultur aus den wohlgeformten Anfangsbedingungen resultierte. Erschufen sich die primitiven Kulturen früh einzelne Gebote, die sich zu einer Ethik verdichteten, fand keine technische Entwicklung statt, die über die Eisenzeit hinausging. Die Völker einigten sich auf eher lockere Weise und die Städte wurden nie größer als rund 90.000 Einwohner. Elektrizität wurde nicht entdeckt oder gar systematisch angewandt. Es schien so, als ob die konkreten Gebote eine Gesellschaft verhinderten, in der sich Entwicklungen verselbständigen konnten. Über die Jahrtausende hinweg gab es zwar regionale Wellen der Besiedlung, aber auch des Zerfalls - so kam es, dass manche günstige Landstellen besiedelt wurden, stagnierten, zerfielen, Jahrzehnte brach lagen, um wieder besiedelt zu werden. Ohne erkennbaren Fortschritt. Die Alternative waren Kulturen, die keine Ethik entwickelten. Hier waren die Städte seltener und kleiner, die Kriege ausgedehnter und brutaler. Kein Großreich umfasste mehr als 400.000 Einwohner und hielt länger als drei Generationen. Manche der Simulationen verödeten total, weil in einer Phase dünnster Besiedlung auch noch Klimaschwankungen die letzten Menschen ausrotteten. Die Studenten veränderten alle Parameter immer wieder, bis eines Tages ein sehr junger Student nach Einnahmen illegaler Drogen auf eine verwegene Idee kam. Er nahm die Ethik der bestentwickelten Simulation und "implantierte" sie in die technisch am weitesten entwickelte Simulation ohne Ethik. Der Effekt war ungeheuerlich - denn die Regeln der Ethik verbreiteten sich wie Erdbebenwellen, oder eher wie eine stark ansteckende Krankheit. In wenigen Jahrzehnten löschten kriegerische Auseinandersetzungen ganze Kulturen aus, transformierten andere grundlegend und beflügelten weitere. Nach dreitausend Jahren waren lediglich fünf Kulturen auf dem simulierten Planeten übrig. Jede hatte für sich die Elektrizität entdeckt, die Chemie, etwas Physik und einiges an Mathematik. Sicher gab es heftige Kriege an den Rändern der Kulturen, aber diese ebbten immer weiter ab und kamen schließlich ganz zum Versiegen. Raumfahrt entwickelte sich nicht, denn Daten und Strom wurden durch Kabelsysteme übertragen, die den ganzen Planeten umfassten. Die Erforscher der Alternativen Geschichte folgerten daraus, dass es wohl eines zweiten Eingreifens von Außen bedurfte, um die Entwicklung voran zu treiben. Jedoch konnten sie den Aufruf zur Raumfahrt nicht mehr so einfach implantieren wie die Grundregeln der Ethik - die Menschen waren zu aufmerksam geworden und wirtschaftlich war Raumfahrt für sie ja unsinnig. So ließen die Forscher einen hinreichend großen Meteoriten mit möglichst geringem Schaden auf die Welt einschlagen. Eine mittelgroße Stadt wurde vernichtet und ausreichend viele überlebende Augenzeugen konnten den Medien berichten - ein Schrecken verbreitete sich über die Kabel. Nun mussten sie doch endlich umdenken, sie benötigten eine Raumfahrt zur Abwehr der Gefahr aus dem All, Raumstationen, Laser und andere Kanonen, die in der Schwerelosigkeit funktionieren. Kernfusion und Kernspaltung zur Energieversorgung. Staatliche Strukturen, die das ermöglichten. Dennoch taten sie es nicht. In drei Kulturen entwickelten sich Religionen, welche die Akzeptanz des möglichen Untergangs der Welt lehrten. So kehrten sie unbehelligt zu ihrem Alltag zurück. Eine Kultur baute Abwehrraketen auf und fühlte sich damit sicher genug. Und eine Kultur ignorierte das Thema komplett. Die einzige Möglichkeit, eine raumfahrende Kultur hervorzubringen war demnach, den Aufruf zur Raumfahrt direkt in die Anfangsethik einzubetten.