Die Reinigung


Der Rat entschied so und sammelte geeignete Menschen für die Bauernwelten und auch für deren Aufbau. Sie wollten sehr viele Welten so besiedeln, deshalb mussten automatische Roboterschiffe vorausfliegen, den Planeten analysieren, formen und vorbereiten. Das dauerte von 50 bis zu 1.500 Jahren, bis ein Planet startbereit war. Die komplette Besiedlung mit 500.000.000 Menschen dauerte weitere 2.000 Jahre. Da bis zur "Reinigung" der Milchstraße 100.000 Jahre vergehen mochten, war auch eine Verteidigung gegen Angriffe für diese Planeten wichtig. Die wichtigste Verteidigungslinie war die komplette Vermeidung von Funkwellen, damit die Planeten unentdeckt blieben. Dann wurden in allen öffentlichen Quellen die Planeten vertuscht. Auch sonst wurde alles unternommen, damit keine Expeditionen zu nahe kamen. Auch die Roboter tarnten sich perfekt. Die Oberflächeneinheiten sahen menschlich aus und verhielten sich auch so. Sie "lebten" in der Nähe von "Stollen", die auf die untere Ebene des Planeten führten. Dort befanden sich "aufgelassene Bergwerke" mit sehr vielen Erzen, deren Haupteigenschaft war, elektromagnetische Strahlung nach oben abzuschirmen. Darunter begannen viele Ebenen mit zunehmender Technisierung. Die Fusionsreaktoren erzeugten die Energie für die Planetenstabilisierung, Aufbau des Magnetfelds, Wetterkontrolle und vor allem für die Erdbebenabwehr. Das Zentralgestirn eines Sonnensystems sendete in regelmäßigen Abständen EMP-Wellen aus, die alle Elektronik, die nicht genau dagegen gehärtet war, restlos vernichtete. Diese "gefährlichen" Regionen waren auf jeder Karte verzeichnet und wurden weiträumig gemieden. Sie erstreckten sich auch auf viele unbewohnbare Planeten und bildeten so ein chaotisches Nichtmuster, aus dem keiner einen "Zweck" ableiten konnte. Wissenschaftler im ganzen Universum verzweifelten schier, dass sie trotz aller Daten und scheinbarer Zusammenhänge am Ende immer nur Rauschen heraus destillierten. Nie passten ihre Annahmen zu den Messungen, die sich auch noch ständig veränderten. Und die Änderungen änderten sich auch. So ging das scheinbar endlos weiter. Lucius versuchte durch dieses System auch die wachsten Geister zu entmutigen, die sich in seiner Tradition auf die Suche machten. Die "EMP-Seuche" war das einzige Muster, das die gesamte Milchstraße durchzog und wurde über die Jahrhunderte zur Grundlage mehrerer Religionen. Wagemutige Abenteurer brachen immer wieder zu solchen Regionen auf und wurden restlos vernichtet. Jedes Eindringen in eine solche Region schien sie zu vergrößern - am Rand entstanden neue EMP-Sonnen. Die Menschheit verstand das deutliche Signal des Alls und mied deshalb diese Regionen. In der Nähe solcher Sonnensysteme sammelten sich jedoch Piraten und andere ordnungsferne Gruppen. Denn die ordentlichen Menschen wollten nicht mal in die Nähe einer EMP-Sonne gelangen. Und Piraten mieden ordentliche Menschen. Begannen die Siedlerpiraten jedoch, eine eigene Wissenschaft zu betreiben, wandelte sich eine ihrer Sonnen um und begann auch EMP-Wellen auszusenden. So zogen die Freibeuter immer weiter und starben trotzdem nicht aus. Dank der Roboter waren die Menschen vernünftig geworden und dank der Freibeuter vergaßen sie es nie, warum das gut so war. Die Großreiche kamen und vergingen. Sie dezimierten sich selbst, gegenseitig und die Piraten, aber die Bauernwelten ließen sie meist in Ruhe. Lucius war inzwischen aufgrund seiner Bedeutung für die Menschheit in den Rang eines "Ewigen" ernannt worden. Er konnte immer noch selbst entscheiden, ob er irgendwann sterben wollte, aber er musste es nicht mehr. In seinen letzten Lebensjahrhunderten dachte er viel über "sein" Universum nach. Und auch darüber, ob in anderen Universen ihm ähnliche Geister zur gleichen Lösung gekommen waren. Ob am vorläufigen Ende jeglicher Evolution Planeten von Bauern mit heimlicher Unterstützung durch Roboter standen. Manchmal träumte er sich auch in eine heroische Welt. In der edle weise tatkräftige Männer und Frauen die Welten formten und liebevoll beherrschten. Seine Späher durchsuchten das All unermüdlich nach Spuren davon, wärend sich die Netze von EMP-Sonnen immer weiter ausbreitete. Er kannte ja das Ende der Entwicklung, zu dem ja auch alle guten Simulationen konvergierten. Eine Galaxie voller Bauernplaneten und EMP-Sonnen. Er schaute sich die alten Filme an und las die Geschichtsbücher - nichts davon spielte mehr eine Rolle. In den Bauernwelten gab es durchaus Abenteurer: ein junger Mann zog aus, um bei anderen Bauern etwas dazu zu lernen, umrundete dabei manchmal den ganzen Planeten. Kehrte zurück in sein Dorf als weiser Mann oder kehrte nicht zurück und ließ sich irgendwo anders als Bauer nieder. Angst vor dem Tod hatten nur sehr alte Bauern, aber auch nur kurz bevor er eintrat mit etwa 130 Jahren. Lucius war froh, dass die Welt so friedlich war. War es ein Zufall gewesen, dass er den Garten seines Nachbarn sehen durfte? Was hatte ihn das Verschwinden der 450 gelehrt und wie der Rat damit umgegangen war? Warum wussten die Mächtigen des Ringsystems so wenig über die Vergangenheit und ahnten nichts von der Zukunft? Hatte er die Notwendigkeit, den Ablauf der Geschichte zu ändern, richtig eingeschätzt? Die zugrunde liegenden Annahmen waren immer noch unsicher, wer wagt da ein Experiment, das mehr als 500.000 Jahre dauert und eine ganze Galaxie umfasst?